Begegnung

Sonne über einem blauen Himmel mit Uferbäumen und Blick auf den Rhein-Herne Kanal. Schriftzug Heimat mit Herz im Bild.
Blick von der Waghalsbrücke Oberhausen über den Rhein-Herne-Kanal, auf den Gehölzgarten Ripshorst mit Zauberlehrling und Gasometer.

Als langjähriges Mitglied in freien Gemeinden, mag ich das Wort Gemeinschaft nicht mehr. Es ist abgenutzt und hat einen holen Klang für mich.

Gemeinschaft ist Pflicht, etwas, was ich um jeden Preis erhalten und dann ordnungsgemäß ausführen muss.

Gemeinschaft ist harte Arbeit und hat gefälligst Anerkennung zu bekommen. Und schlechtes Gewissen ist das Mindeste, was Dich heimsucht, wenn Du nicht daran teilnimmst.

Woran eigentlich?

 

Einer meiner klugen Mentoren, Pastor Andreas Ullrich (Krefeld) sagte mal treffend: "Gemeinschaft kann man sein, aber niemals haben!" Also kein Besitz, sondern ein lebendiges Geschenk. Etwas, was meine Herzenszustimmung braucht, um zu leben.

 

"Danach haben wir noch nette Gemeinschaft." Wenn ich diesen Satz höre oder lese, dann bekomme ich Gruselgefühle. Ich grusele mich überhaupt nicht gerne.

Tatsächlich passt Nietzsches berühmtes Zitat sehr gut und ich empfinde es auch als einen guten Kompass, immer mal wieder meine eigene Alltagsmiene ehrlich zu prüfen:

"Bessere Lieder müßten sie mir singen, daß ich an ihren Erlöser glauben lerne: erlöster müßten mir seine Jünger aussehen!"

-aus Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 350.

 

Anders ist es, wenn ich mich auf ein Treffen meiner Kleingruppe oder mit meinen Freunden freue.

Ich sehe zu, dass der Termin gut geschützt geplant ist, stelle mein Handy aus sobald wir uns sehen und freue mich schon Tage und Wochen vorher auf die Menschen. Das ist ein völlig anderes Gefühl.

 

Durch mein Studium beschäftige ich mich wieder neu damit, was Kirche, was Gemeinschaft, was das alles mit Gott und Menschen denn nun sein kann.

 

Gerne besuche ich christliche Gemeinden. Und wenn ich das erste Mal an einem Ort, in einem Raum bin, dann lasse ich den Spiritus Loki auf mich wirken. Ich spüre die Atmosphäre und sehe sehr genau, wie andere Menschen mich anschauen, wie sie mit mir umgehen. Ich nehme die Gerüche wahr und lasse den Blick über diesen Ort der Versammlung schweifen.

 

Kommt man wohl gern hier her? Erzählt dieser Ort eine schöne Geschichte? Riecht es nach muffeligen Teppichen oder nach Holz? Mischen sich Spuren von frischem Waffelduft oder vergilbten Büchern da rein?  Umhüllt mich Weihrauch oder Muff?

Da gibt es Orte und Menschen, wo ich spüre, dass ich willkommen bin, wo Gesten und Begegnungen mir signalisieren: Auf Dich haben wir gewartet. Es ist schön, dass Du hier bist. 

 

Ich meine nun nicht den roten Teppich und den unnatürlichen Überschwang. Ich meine das Lächeln im Vorbeigehen an Fremden, die Schilder die ich gut sehe, die mir Orientierung geben, die Moderierenden, die kurz erklären wer sie sind und warum was wie und wo ist. Die wirklich gute Tasse Kaffee nach einer Predigt in ansprechendem Ambiente (und nicht das berühmte 'letzte Glas im Stehn''). Das kleine Kästchen mit Hygieneartikeln auf dem WC, die freundlichen Worte ohne lauernde Untertöne, der barrierefreie Eingang und die ausgewogene Akustik. 

Schön, dass Du hier bist, sollte nach meinem Verständnis von Kirche nicht mit Worten gesagt werden müssen, damit Gäste und Vertraute es wahrnehmen. 

 

Wir lassen uns schnell durch eine von Arbeit bestimmte religiöse Kultur gefangen nehmen, die genau die Liebe vertilgt, die sie eigentlich zum blühen bringen will.

-aus: Jacobsen/Coleman, Der Schrei der Wildgänse '09.

 

Ich erwarte nicht, dass Menschen mit ernster Mine auf mich zukommen und mit mir über den Herrn Jesus reden müssen. Oder dass ich als VIP mit Blümchen begrüßt werde. Ich erwarte, dass das Ambiente und die Atmosphäre, die Mienen der Anwesenden mich geradezu herausfordern zu fragen, was der Grund ist, warum Menschen hier Ressourcen einsetzen und hier sein wollen. Und nicht woanders.

 

Warum sollte ich sonst hier sein (wollen?). Meinen Schöpfer treffe ich immer in der Natur. Jesus lerne ich durch meine aufgeschlagene Bibel und durch Predigten und Austausch kennen. Dafür muss ich mich, genaugenommen, aber nicht mal aus dem Bett bewegen. Mit meinem Smartphone habe ich Zugang zu mehr Material als ich jemals werde auswerten können. Und der Kreuzgang im Dom in der Essener Innenstadt ist mir ein sehr liebgewordener Ort der Kontemplation.

 

Für mich sind es die Menschen, die inzwischen zu Freundinnen und Freunden geworden sind, die mich Begegnung suchen lassen. Das ehrliche Interesse an ihrem Leben mit Jesus, die Freude in ihrem Blick, wenn wir uns treffen, die Fragen die oft tiefer gehen als meine Tattoos. Die Liebe, die um mich strömt wie ein kuscheliges Saunatuch. Der Segen in der Begegnung, der den Moment feiert. Und auch die bequemen Sessel um über das Gehörte zu reden. Der gemütliche Raum wo Herzen ausgeschüttet und auch laut geklagt werden darf. Das Segensgebet welches mir zugesprochen wird, ohne dass nach meiner Konfession oder meinen Beweggründen gefragt wird.

 

Ich denke an den aufgebauten Abendmahlstisch in der Marktkirche in Essen. Wer reinkam, durfte Platz nehmen, egal wie sauber oder wie freundlich man aussah. Dann saßen wir bei selbstgebackenem Brot, leckerem Humus und vorzüglichem Traubensaft eine Weile dort, haben Bibeltexten gelauscht, an Jesu Tod und Auferstehung gedacht, uns ausgetauscht, Fragen gestellt, gelacht und entspannt geschwiegen, manche kamen an den Tisch, andere schauten nur. Es war okay. 

 

Ich denke an die junge Gemeinde in einer alten Werkstatt, wo mich 4 fremde  Leute ansprachen die sich freuten mich zu sehen und mir Orientierung gaben, bis ich einen Platz gefunden hatte. 

 

Ich denke an den Mann an der Tür in einer Gemeinde wo ich hin und wieder zu Gast bin, der mich schon von Weitem anstrahlt, wenn ich ihm meine Hand reiche, reicht er mir seine. Sonst heißt er mich mit anderer einladender, wertschätzender Geste willkommen. Immer begrüßt er mich mit netten, höflichen Worten.

 

Ich denke an die Kirche mitten im Ruhrgebiet, wo Gäste, wenn sie mögen, mit Applaus und einem Gutschein für einen Kaffee und wenn sie wollen, eine Einladung zum Essen begrüßt werden. 

 

Ich denke an das Kirchencafé, wo es neben jeder Menge erstklassiger Musik, einer ansprechenden Message und lokalem Bier und Bratwurst, Gebet für alle gibt, die wollen.

 

Ich denke an die Gemeinde, wo Schülerinnen und Schüler Sonntags freiwillig gerne bleiben, sich sogar mit Freundinnen und Freunden dort verabreden, weil es hochwertiges Sportgerät, Hilfe bei Hausaufgaben und Zeit mit Erwachsenen gibt, die sie fördern.

 

Ich denke an die Church, wo gemeinsames Frühstück und Gespräche über Gott und die Welt im Mittelpunkt stehen. Mancher der wegen dem Frühstück kam, ist Freund geworden und hat eine Freundin mitgebracht. Weil es gut tut, hier zu sein, unter dem Kreuz und inmitten von Menschen die mich wohlwollend aufnehmen.

 

Ich denke an die Gemeinde die komplett barrierefrei erbaut, intelligent mit Wegweisern ausgestattet und komplett verglast ist, weil man sich gerne auf den Teller und in die Karten gucken lassen möchte.

 

Ich denke an die Church, wo im Eltern-Kind raum alles zu finden ist, was Kids benötigen, inklusive gratis Gläschen. Und wo die Leiterin und der Leiter, trotz großer Menschenmenge den Blick für Gäste haben und kurz Hallo! sagen.

 

All das spricht LIEBE.

All das spricht Du bist es mir wert!

All das spricht eine andere Sprache als so vieles in der Welt.

Ich glaube, das ist die Liebe an der Christinnen und Christen erkannt werden sollen.

Mir ist bewusst, dass ich nur bei mir selber anfangen kann. Und das tue ich.

Durch Entscheidungen und Mut.

Das, was Jesus uns schenkt, ist zu wertvoll für langweilige Gottesdienste, zu kostbar für heruntergekommen Locations und zu stark für ein verschimmeltes Verständnis von gemeinSchaft.

Deshalb wähle ich den Begriff Begegnung

 

Michael Herbst formuliert es so: "Diese Begriffe sind alle eher statisch als dynamisch. Unser Christsein sollte nämlich durch zwei Attribute näher bestimmt sein: Es sollte lebendig sein und mündig, eine dynamische Beziehung eines Ich zu einem Du. Das Christsein drückt sich auch in Glaubenswahrheiten aus, aber in seinem Kern ist es die Beziehung zum dreieinigen Gott (...)". 

-aus 'Lebendig', 2018, Hervorhebungen von mir.

 

 


Ein Artikel zum Weiterdenken vom Medienportal der evangelischen Kirche. Wort zum Tage 07. 01.2016

 

Deutschlandfunk Kultur 07.01.2016 - 06:23. Autor: Pastor Diederich Lüken: 

Wort zum Tage 07. 01. | rundfunk.evangelisch.de


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